Kinder im Netz

Interview mit Klaus-Dieter Oetzel, Internet-Beauftragter der Welle WDR Radio 5, am 22.6.1998

Welche Funktionen erfüllt das Internet beim WDR, insbesondere für die Welle Radio 5, für die Sie ja in Sachen Online-Präsenz verantwortlich sind?

Die Funktion ist WDR-übergreifend eindeutig und auch einleuchtend definiert: Das, was der WDR und die einzelnen Wellen und Redaktionen im Internet machen, ist programmbegleitend, oder - wie unsere Juristen sagen - "programmakzessorisch". Das heißt wir machen kein Angebot, das selbständig neben unserem On-Air-Programm besteht, sondern das ist ein Angebot, das unser On-Air-Programm ergänzt. Je nach Sendung unterscheidet sich die Definition, was sinnvoll programmbegleitend ist. Was Radio 5 angeht, so sind unsere Ambitionen relativ bescheiden, was auch damit zusammenhängt, daß wir keine großen Personalressourcen in dieses Projekt stecken können, jedenfalls zur Zeit nicht. Bescheiden heißt, daß wir versuchen wollen, im Internet Programminformationen mehr oder weniger ausführlich zu geben. Wenn Sie so wollen, ist unser Angebot eine größere und vor allen Dingen von uns selbst gemachte und verantwortete Programmzeitschrift. Und das ist für uns als Hörfunkprogramm besonders wichtig, weil in den Programmzeitschriften der Hörfunk eine immer geringere Rolle spielt.


Es geht also weniger darum, neue Hörer zu werben, sondern darum, die Leute zu bedienen, die das Programm kennen und im vorhinein mal schauen wollen, was in den nächsten Tagen läuft.

Doch, es geht auch darum, neue Hörer zu gewinnen, aber erstmal soll das Programm bekannt gemacht werden. Radio 5 hat einen relativ niedrigen Bekanntheitsgrad. Und dieses Manko, das sich in relativ niedrigen Einschaltquoten niederschlägt, muß man zunächst einmal versuchen, on-air zu beheben, aber man kann es eben auch mit anderen Mitteln. Und da ist eben das Internet ganz gut für geeignet, zumal sich die Entwicklung der demographischen Struktur des Internet-Publikums sehr günstig darstellt. Das Internet ist schon längst nicht mehr ein Medium für Spinner oder Freaks oder Jugendliche. Die demographische Entwicklung geht immer mehr in Richtung Normalbevölkerung. Und das ist natürlich ganz gut, weil - was Radio 5 angeht - wir sicherlich einen erhöhten Anteil älterer Hörer haben. Die User-Gruppen des Internets und von Radio 5 rücken insofern ein bißchen mehr zusammen.


Sie sagen "das Programm bekannt machen". Dafür müßte man aber doch schon ein bißchen Aufsehen erregen. Mit einer elektronischen Programmbroschüre kann man das doch eher nicht - bei der unüberschaubaren Vielfalt an unterschiedlichen Informationsangeboten im Internet. Muß da nicht ein Mehrwert her?

Der Mehrwert ist ja da, zumindest in einigen Bereichen. Ich greife nur die Radio-Soap mal raus. Diese Radio-Soap wird on-air zweimal täglich gesendet. Sie wird auch textlich und grafisch im Internet begleitet, und sie wird auch als Real-Audio-Ereignis im Internet abrufbar. Und die Soap wird archiviert. Das heißt sie können jederzeit nochmals in die erste Folge oder in die 15. Folge oder in die 30. Folge reinhören. Und das ist natürlich ein Service, der weit über die Möglichkeiten der On-Air-Ausstrahlung hinausgeht.


Wieviel Engagement wird von den Redaktionen der Welle Radio 5 erwartet, wenn es um die Präsenz der einzelnen Sendungen im Internet geht?

Die generelle Philosophie des WDR ist, daß die Internet-Aktivitäten sich nicht als von den Redaktionen abgetrennte redaktionelle Arbeit etablieren. Es gibt eine zentrale Stelle im WDR, das ist das OSC, das Online Service Center, das die Redaktionen in allen Belangen unterstützt. Aber letztendlich liegt die redaktionelle Verantwortung bei den einzelnen Redaktionen, und damit auch die Arbeit - was man ins Internet stellt, wie man es in Internet stellt, wieviel man ins Internet stellt. Das ist die Programmphilosophie des WDR. Die unterscheidet sich zum Beispiel eindeutig von der des ZDF. Wer also im Internet präsent sein will als Redaktion, muß auch die Arbeit dafür leisten.
Hier in Radio 5 gibt es zwei Stellen, die zentrale Dienste leisten - ein Redakteur mit einer halben Stelle, und eine Sachbearbeiterin mit einer halben Stelle. Die Sachbearbeiterin leistet das unmittelbare Einstellen der Informationen ins Internet. Und die Aufgabe des Redakteurs ist es, die redaktionelle Verantwortung wahrzunehmen und darüber hinaus Programmierarbeit zu leisten, Seiten aufzubauen und auch den Kontakt zum OSC zu halten. Aber die Informationen selbst, also die Programminformationen, die Pressetexte etc., das müssen die Redaktionen liefern. Und wenn diese Informationen nicht da sind, kann eben auch nichts ins Internet gestellt werden.


Zur Rolle des Online Service Centers: Das ist also eher ein technisches, medienspezifisches Beratungsgremium und weniger eine eigenständige, journalistische Einrichtung?

Es ist schon eine eigenständige Abteilung, es berät nicht nur. Das OSC verwaltet zunächst einmal die ganze Technik. Da sitzt der Webmaster, da sitzen auch die Kollegen, die Sonderaktionen machen, zum Beispiel zur Fußball WM. Und da ist der Übergang vom Medientechnischen zum Organisatorischen, zum Redaktionellen, dann schon eher fließend - natürlich kooperiert das OSC mit den Fachredaktionen, also zum Beispiel mit den Sportredaktionen von Hörfunk und Fernsehen.
Das OSC hat natürlich auch übergreifende Kompetenzen, die Mitarbeiter des OSC sind die Hüter des Designs. Wenn die Redaktionen selbst was ins Internet einstellen können, bedeutet das nicht, daß sie irgend etwas einstellen können, sondern sie müssen sich selbstverständlich an bestimmte Designvorgaben und inhaltliche Vorgaben halten. Aber das OSC ist keine eigenständige Redaktion, in dem Sinne, wie Spiegel Online beispielsweise eine selbständige Redaktion ist oder ZDF Online.
Das OSC hat in bestimmten Punkten aber ein absolutes Vetorecht bzw. Durchsetzungsrecht, nämlich da, wo es um die Funktionalitäten geht. Also, das OSC entscheidet, ob wir mit Frames arbeiten oder nicht, und wir arbeiten eben nicht mit Frames. Und keine Redaktion kann sagen 'Wir möchten aber gerne mit Frames arbeiten.' Da wo es um ästhetische Dinge geht, wird ein Konsens in der Diskussion gefunden. Denn die Designs müssen ja untereinander auch ein bißchen kompatibel sein, selbst wenn jede einzelne Redaktion oder die einzelne Welle ihre eigene Farbe ins Spiel bringen will. Im übrigen wird das aber sehr, sehr unpreußisch gehandhabt, also der Spielraum für die einzelnen Redaktion ist sehr, sehr groß.


Gibt es denn auch Redaktionen in der Welle, die ihr Angebot komplett betreuen, also auch die technische Kleinarbeit leisten.

Es gibt Redaktionen, die waren von Anfang an dabei, wie zum Beispiel Lilipuz oder die Unterhaltung, die betreuen ihre Seiten auch weitgehend technisch selber, die stellen ihre Texte selbständig ins Internet rein, machen auch die Grafik und so weiter. Nur wenn es um konzeptionelle Änderungen geht oder ein neues Angebot ansteht, dann gibt es eine kurze Rücksprache mit dem Internet-Beauftragten. In der Mehrzahl machen die Redaktionen das aber nicht selbständig.


Das Internet-Publikum im allgemeinen und die Cyberkids im besonderen sind ausgesprochen kommunikationsfreudig. Dadurch, daß die Redaktion unkompliziert via E-Mail zu erreichen ist, ist der direkt Draht da. Der WDR setzt aber - zumindest was die kleineren Redaktionen angeht - vor allem auf den Pull-Kanal: Das Publikum hat Zugriff auf Informationen, kann sich aber nur in begrenztem Maße mit seinen eigenen Ideen einbringen, was beispielsweise über Foren realisiert werden könnte. Warum ist das eigentlich so?

Je interaktiver ein Medium genutzt wird, desto arbeitsintensiver ist es natürlich. Auf der Ebene www.wdr.de gibt es ja schon Foren, es gibt auch Chats. Aber die Chats, die da gemacht worden sind, die haben natürlich auch gezeigt, wie unglaublich arbeitsintensiv das ist. Und für Radio 5 würde ich im Augenblick diese Möglichkeit gar nicht sehen. Denn wenn man ein schwarzes Brett aufmacht, wo Leute ihre Nachrichten posten können, dann muß das natürlich moderiert werden. Da kommt dann wieder unsere publizistische Verantwortung ins Spiel. Wir müssen alles, was gepostet wird, kontrollieren, nach der Maßgabe des WDR-Gesetzes und der Rundfunkgesetze.
Das Internet-Angebot des WDR fungiert also weniger als Kommunikationsplattform. Das ist natürlich schon eine Kommunikationsplattform, es ist ja selbstverständlich auch interaktiv. Wenn jemand zu uns kommt und auf bestimmte Angebote zugreift, dann ist das selbstverständlich interaktiv, und das ist was völlig anderes als Radiohören oder Fernsehen. Aber es hat nicht die höchste Stufe der Interaktivität erreicht, die man vielleicht woanders erreichen kann, da muß man dann eben unterscheiden zwischen dem Wünschbaren und Machbaren.


Seit geraumer Zeit wird in der Lilipuz-Redaktion schon über interaktive Neuerungen nachgedacht. Ein Chat ist im Gespräch, Foren, wo Kinder ihre Meinung zur Sendung kundtun können, und evt. sollen Hörerinnen und Hörer die Möglichkeit erhalten, sich eine eigene kleine Homepage einzurichten. Das ist dann also in absehbarer Zeit nicht zu realisieren?

Das ist dann nicht zu realisieren, wenn das bedeutet, daß Lilipuz zusätzliche Personalressourcen braucht. Da gebe ich einfach nur den Bescheid des Wellenchefs weiter, daß es die nicht gibt. Den Redaktionen muß es selbst gelingen, diese Ressourcen freizuschaufeln, durch Umorganisation oder was auch immer.


Stichwort Real Audio: Gibt es konkrete Überlegungen, einzelne Sendungen von Radio 5 komplett und aktuell im Internet auch hörbar bereitzustellen, also nicht nur zum Nachlesen?

Die Überlegungen gibt es, aber da stoßen wir an eine Menge Grenzen. Technisch ist das kein Problem, aber es gibt rechtliche Probleme. Alles, was wir erwerben für den Hörfunk, erwerben wir für die Verbreitung über den Rundfunk, und die Internet-Verbreitungsrechte sind etwas ganz anderes. Generell kann man im Internet nur etwas verbreiten, wenn man dafür die Rechte erworben hat. Und wir erwerben diese Rechte nicht automatisch. Es gibt jetzt zwar Verhandlungen auf sehr hoher Ebene, um die Tarifverträge zu ändern und quasi das Internet-Recht auch in unsere Normalverträge zu übernehmen, aber diese Verhandlungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Es ist noch relativ einfach, einem Autor das Verbreitungsrecht für sein Manuskript abzukaufen, aber bei einem Hörspiel oder einem Feature ist das ungleich schwieriger, denn da gibt es nicht nur die Autoren, sondern auch noch die künstlerischen und sogar die technischen Mitwirkenden. So etwas noch im Nachhinein zu erwerben, ist völlig illusorisch, und auch für die Zukunft könnte ich mir nur vorstellen, vereinzelte Dinge einzuspeisen. Die muß man dann gleich in die Planung und die Vertragsgestaltung aufnehmen.


Warum vergibt der WDR eigentlich nur in Ausnahmefällen eigene Domains an einzelne Redaktionen, was bei Lilipuz auf http://www.lilipuz.de hinauslaufen würde? Oder warum verkürzt man nicht zumindest durch einen technischen Kniff einzelne Adressen, was technisch und organisatorisch ja nicht soviel Aufwand bedeuten würde - also zum Beispiel http://lilipuz.wdr.de - insbesondere für Kinder aber eine ungemeine Erleichterung wäre, um das Angebot im Internet zu finden?

Ausnahmefälle wie bei der Fußballweltmeisterschaft oder der "Lindenstraße" sind auch begründet, eben weil es keine reinen WDR-Geschichten sind. So wie ich unsere Politik verstehe, soll sehr darauf geachtet werden, daß das alles Veranstaltungen unter dem Dach des WDR sind. Die Marke WDR soll nicht untergehen hinter der Marke "Geld oder Liebe" zum Beispiel. Bei Mercedes muß auch immer der Stern drauf. Das ist gerade im Internet sehr wichtig, weil das Markenbewußtsein hier fast darüber entscheidet, wie oft ein Angebot besucht wird. Und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß es da eine komplette Freigabe gibt.


Stichwort Programmauftrag: Da gab es viele Diskussionen wie intensiv sich die Rundfunkanstalten im Internet engagieren dürfen, weil das eben nicht zum Programmauftrag gehöre. Wie sieht der WDR das, wie sehen Sie das?

Ich denke, die Diskussion ist ausgestanden. Niemand wird den öffentlich-rechtlichen Runfunkanstalten das Recht absprechen, ein Internet-Angebot aufzustellen. Wichtig ist, daß das in Verbindung mit unserem On-Air-Programm ist.

Könnte man nicht innerhalb der ARD die Kräfte bündeln, die Kooperation intensivieren, um ein gemeinsames Online-Programm zu einem bestimmten Thema anzubieten? Beispiel Kinder. Da könnte man doch ein Programm aufbauen, in das alle einzelnen Hörfunk- und Fernsehsendungen einfließen?

Man darf nicht vergessen: Die inhaltliche Kompetenz, die liegt nicht an der Spitze, die liegt an der Basis, in den Redaktionen in Baden Baden oder in Köln oder in Saarbrücken. Dort liegt der Schatz. Es könnte ja sein, daß man noch so tolle übergreifende Konstruktionen entwickelt, aber wenn dann der Fluß dieser goldhaltigen Informationen nach oben nicht funktioniert, in eine zentrale Stelle also, dann wird das nichts. Wenn Sie sehen, daß es schon in den einzelnen Häusern sehr, sehr schwierig ist, allein bi-mediale Veranstaltungen zustande zu bringen, sprich zwischen Fernsehen und Hörfunk, und zwar in einer einzigen Rundfunkanstalt, dann können Sie sich vorstellen, wie schwierig es sein würde, so eine funktionsfähige, übergeordnete Einheit zustande zu bringen. Ich kann's mir eigentlich im Moment ARD-politisch schwer vorstellen.

© Tobias Gehle, 1998

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