Kinder im Netz

Interview mit Matthias Wegener, Leiter der WDR-Redaktion Lilipuz am 16.6.1998

Anfang 1996 hast Du gesagt: "LILIPUZ braucht eine eigene Homepage." Warum eigentlich?

Weil die Redaktion und ich davon überzeugt waren, daß das Internet ein ganz wichtiges Medium der Zukunft wird, mit dem wir unser Publikum direkt erreichen können, über das unser Publikum auch wieder Kontakt direkt mit uns aufnehmen kann. Das Internet bietet als programmbegleitendes Medium für unsere Arbeit eine große Chance, nämlich auch Informationen unterzubringen, die wir im Radio so nicht verbreiten können - das, was man sonst immer macht mit Broschüren und Infoblättern beispielsweise. Das soll zwar nicht ersetzt werden, aber ergänzt.


Ist das Internet also für LILIPUZ in erster Linie ein Marketinginstrument - so eine Art elektronische Programmbroschüre? Oder ist es in Deinen Augen doch schon mehr, soll sich das als eigenständiges Medium entwickeln?

Zur Zeit ist es in erster Linie ein Marketinginstrument. Wir wollen das Internet aber schon als eigenständiges Medium stärker nutzen. Das stößt ein bißchen an die Grenzen unserer personellen Kapazität, es gibt auch noch ein paar juristische Probleme und auch ein paar organisatorische: Wer ist dafür eigentlich verantwortlich und wie bindet man das ein in das Gesamtangebot? Aber ich glaube schon, daß man sich im Laufe der nächsten Jahre wegbewegen kann von der reinen Präsentationsebene hin zu einem eigenständigen interaktiven Medium. Das wird aber sicherlich davon abhängen, wie sich das Internet insgesamt weiterentwickelt, und auch der Zugang der Kinder zum Internet. Wir tappen da noch ein bißchen im Dunkeln. Noch ist das sicherlich nicht die große Masse, die da jeden Tag unser Angebot nachfragt, aber inzwischen ist - glaube ich - der Punkt erreicht, wo man sich schon ernsthaft Gedanken machen muß, wenn man nicht auftaucht im Internet. Und wenn man drin ist, dann würde unser Publikum - also die Kinder - es uns sicher übelnehmen, wenn wir da so einen billigen Auftritt hinlegen würden. Ich glaube, dann wird erwartet, daß man auch mehr anbietet als so ein paar Bleiwüsten, in denen irgendwelche Manuskripte abgedruckt werden.
Wir gehen ja einen anderen Weg. Wir versuchen auf der einen Seite, Informationen zum aktuellen Programm anzubieten, Hintergründe der Redaktion zu verdeutlichen, wir versuchen, unsere Schwerpunkt-Aktionen herauszustellen, oder unsere Büchertips, die ja einen großen Stellenwert auch im Programm haben, Merchandising spielt eine Rolle, und wir haben natürlich Links zu anderen Angeboten für Kinder.


Wäre es in Deinen Augen überhaupt wünschenswert, wenn sich das Internetangebot selbständig entwickelte, am Ende gar fast unabhängig vom Radioprogramm, mit eigenen Inhalten?

In dem Augenblick, in dem man mehr Spielfläche entwickelt - das ist wörtlich zu nehmen, also Fläche zum Spielen - entfernt sich das Ganze zunehmend von einer reinen Darstellung des aktuellen Programms und der Redaktionshintergründe. Da entstehen dann neue Facetten, die nicht unbedingt immer mit dem Radioprogramm zu tun haben. Ich halte es aber für wünschenswert, daß diese Verbindung nicht ganz abreißt. Völlig unterschiedliche Angebote zu machen, wäre sinnwidrig.
Nur das ist ein Definitionsproblem. Man kann ja auch argumentieren, daß es nicht so sehr auf die konkreten Angebote ankommt, sondern mehr auf den Geist - also das, was ein Radioprogramm an Botschaften an die Kinder heranträgt. Also wie wir mit ihnen umgehen, wie wir die Welt sehen. Das alles schafft ja eine bestimmte Atmosphäre. Wenn das Internetangebot von dem gleichen Bewußtsein getragen ist, dann ist es nicht unbedingt notwendig, identische Inhalte zu haben.


Wer soll mit der Homepage vor allem angesprochen werden, das LILIPUZ-Publikum, also Kinder, oder doch eher die Eltern? Auf der Homepage sind ja viele Informationen verpackt in mehr oder minder langen Texten, viele LILIPUZ-Hörerinnen und Hörer können aber kaum oder nicht sehr gut lesen.

Richtig ist: Die ganz jungen Kinder, die können noch nicht lesen. Aber die Hauptgruppe derer, von denen wir wissen, daß sie auch LILIPUZ hören - das geht so von sieben bis 13 Jahren - die können schon selber lesen. Wir machen das in erster Linie schon für die Kinder selber. Daß wir auch Informationen drin haben, die auch die Erziehungsberechtigten gut gebrauchen können, das will ich nicht abstreiten. Ich denke aber auch, daß wir durch die grafische Gestaltung die Sache doch sehr "kundenfreundlich" gestalten. Wir wollen auch mal versuchen, mehr hörbare Sachen reinzustellen, soweit die Technik mitmacht und der Aufwand sich in Grenzen hält.


Stichwort Multimedia, hörbare Inhalte. Da ist ja im Moment noch recht wenig zu finden auf der LILIPUZ-Homepage. Muß da nicht was passieren?

Das wird schon seit geraumer Zeit diskutiert. Daß wir noch nicht so weit sind, liegt nicht daran, daß wir das nicht wollen, sondern daß es da noch jede Menge Diskussionen und Unklarheiten gibt: Schaffen wir das von den Kapazitäten? Sind genügend Stoffe abrufbereit. Sind die Rechte geklärt? Verlängern sich dadurch die Zugriffszeiten unvertretbar? Man muß da viele Dinge diskutieren, da sind beim WDR viele Leute für zuständig. Einige Redaktionen und Wellen im Hause sind ja nun schon mit Audio-Inhalten im Netz. Deshalb hoffe ich, daß wir da jetzt bald auch gut hörbar ins Internet kommen.


Beispiel Kindernetz des Südwestfunks. Das ist ein Angebot, das voll auf Interaktion setzt. Und man hat so den Eindruck, das kommt ganz gut an: Die Kinder wollen chatten, an einer Pinnwand ihre Nachrichten hinterlassen und finden es offensichtlich total toll, wenn sie ihre eigene kleine Homepage im Internet haben. Woran liegt es, daß bei LILIPUZ solche spielerischen und interaktiven Elemente noch fehlen?

Der Hauptzweck unserer Redaktion besteht darin, Radioprogramm zu machen. Und da sind die Kapazitäten und die finanziellen Mittel auch drauf zugeschnitten. Das Internet ist also eine Arbeit, die wir zusätzlich leisten. Wenn man sich auch mal die Diskussionen anhört, die auf den oberen Ebenen geführt werden, da wird schon deutlich gemacht: Kümmert Euch in erster Linie ums Programm, um die Veranstaltungen, die direkt mit dem Programm zu tun haben, nutzt das Internet als zusätzliche Möglichkeit, aber mehr auch nicht. Wir können dafür keine zusätzlichen Leute einstellen. Das heißt aber nicht, daß wir das geringachten. Ich mach mich dafür stark, daß wir das weiterentwickeln, im Rahmen unserer eingeschränkten Möglichkeiten. Ich hoffe auch, daß im WDR mit zunehmender Bedeutung des Internets auch eine klare Hierarchiestruktur entsteht, das heißt wenn wir eine Idee entwickeln, einen Vorschlag machen, daß wir uns dann nicht um alle Details kümmern müssen, das ist im Moment einfach nicht drin. Daran liegt es in erster Linie, daß wir solche Angebote wie der Südwestfunk nicht realisieren können.


Für so ein umfassendes Angebot bräuchte man dann wahrscheinlich auch eine eigene Stelle...

Ich könnte mir mittelfristig schon vorstellen, daß, wenn Stellen neu besetzt werden, daß man sich schon Gedanken darüber machen muß, wie wichtig eine Qualifikation auf dem Gebiet ist, und ob es nicht Sinn macht, im Qualifikationsprofil eines neuen Redakteurs sowas nachzufragen. Das gilt im übrigen nicht nur für uns. Man wird sich an dieser Grundsatzentscheidung irgendwann nicht mehr vorbeimogeln können. Das ist aber Zukunftsmusik.


In der Sendung selbst taucht das Internet-Angebot von LILIPUZ noch nicht besonders häufig auf. Woran liegt das?

Viele, die bei uns arbeiten, haben das noch nicht so realisiert. Dadurch, daß die Redakteure und Moderatoren wöchentlich wechseln, gibt es außerdem häufig die unschöne Situation, daß das schlicht und ergreifend vergessen wird.
Das andere ist, daß geklärt werden muß, wie wichtig uns das ist. Wenn wir zu der Überzeugung kommen, daß das Internet ein wichtiger Pfeiler ist, auf dem das Programm in absehbarer Zukunft ruhen könnte - ein Pfeiler von mehreren - dann müssen wir dafür sorgen, daß das nicht vollkommen nebeneinander herläuft.


Und das hieße konkret? Welche Formen der Konvergenz von Radio und Internet wären denn denkbar?

Man könnte Radiospiele so entwickeln, daß die parallel auch im Internet mitgespielt werden. Beispiel: Man hat einen Rechner im Studio, so daß man bei einem Rätsel nicht nur sagt: Ruft uns an, schickt uns Faxe. Sondern daß bestimmte Teilaufgaben auch über das Internet gelöst werden können. Warum eigentlich nicht?


Was ist mittelfristig an konkreten Neuerungen geplant, um die interaktive und mutimediale Schiene zu verstärken?

Was offensichtlich großen Erfolg verspricht, sind Diskussionsforen, mit Moderatoren, mit B-Punkt LILIPUZ. Man sollte sicher die Hörerpost oder die Hotline nicht abschaffen. Aber ich glaube, was die Hörerpost vor zehn Jahren und die Hotline in den letzten Jahren waren, könnten solche heißen Drähte im Internet in den nächsten Jahren werden.
Dann daß Kinder selber eine eigene Homepage machen. Da müssen noch ein paar juristische Fragen geklärt werden, damit man nicht Menschen, die Kindern an die Wäsche wollen, noch ein Einfallstor bietet. Man sollte auch versuchen, die Audio-Clips zu verstärken, wir haben ja viele Hörspiele zum Beispiel.


Die Generation der LILIPUZ-Hörerinnen und -Hörer von heute ist die erste, die mit dem Internet groß wird. Für diese Kinder wird das Internet vermutlich künftig eine sehr wichtige Rolle spielen. Meinst Du, da kommt auf der Datenautobahn was rangerollt, was sich als ernsthafte Konkurrenz für traditionelle Kindermedien entpuppen könnte, also auch für LILIPUZ?

Ich bin kein Prophet. Wir sind früher gefragt worden, ob das Kinderradio nicht in unmittelbarer Konkurrenz zum Fernsehen immer den kürzeren ziehen würde. Ich glaube das nicht, so eine Zukunftsangst peinigt mich nicht. Ich glaube, wenn wir das gut integrieren und vernünftige Angebote auch im Internet zuwege bringen, dann ist das nichts, vor dem man Angst haben muß. Und dann sehe ich dem Ganzen auch mit Optimismus entgegen. Ich glaube, die Kinder haben was davon.


Es wurde in der Vergangenheit viel darüber diskutiert, wie intensiv sich die Öffentlich-Rechtlichen überhaupt im Internet engagieren sollen und dürfen. Es gab Stimmen, die sagten, die Online-Aktivitäten gehörten nicht zum Programmauftrag. Wie siehst Du das?

Ich glaube nicht, das so ein Argument wirklich tragfähig ist. Ich sehe das Internet als ein Stück Realität. Und ich sehe es für die Zwecke, für die wir es nutzen können, als eine Bereicherung an, als eine sinnvolle Ergänzung zum Programm.

© Tobias Gehle, 1998

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